Tokyo 42

Grand Theft Syndicate – Tokyo 42

Als nicht weniger als das Liebeskind von GTA und Syndicate bezeichnet Entwickler Smac Games sein Erstlingswerk Tokyo 42. Das in London ansäßige Zwei-Mann-Studio will mit dem isometrischen Cyber-Shooter die Freiheiten der beliebten Grand Theft Auto-Reihe sowie die Ansicht und die taktischen Elemente von Syndicate zu einem einzigartigen Mix verschmelzen. Ein ambitioniertes Vorhaben, das im ersten veröffentlichten Material aber durchaus Lust auf mehr macht. 

Um herauszufinden, ob der erste Eindruck trügt oder Tokyo 42 tatsächlich frischen Wind in das Genre der Isometrie-Shooter bringt, habe ich mich in das futuristische Japan begeben und haufenweise Meuchelaufträge ausgeführt. Meine Erfahrungen und Meinung findet ihr im nachfolgenden Review.

Vom Verdacht zum Täter

Die Geschichte von Tokyo 42 wird zu Beginn des Spiels schnell abgefrühstückt und tröpfelt fortan im Hintergrund vor sich hin, ohne jemals wirklich von Relevanz zu werden. Eines Tages im Jahr 2042 schauen wir (der Protagonist) in unserer Wohnung in Ruhe Fernsehen, als plötzlich eine Fahndung nach uns aufgerufen wird. Die Anklage lautet auf Mord und die Behörden sind heiß darauf, uns zu erwischen. Sie gehen sogar so weit, dass in der Flimmerkiste Live-Szenen aus unseren Wohnung zu sehen sind. 

Tokyo 42

Im futuristischen Tokio versuchen wir, unseren Ruf wieder rein zu waschen.

Also geben wir Fersengeld und rauschen aus unserer Behausung. Unterstützt werden wir bei der Flucht von dem bisher unbekannten Tycho, der uns in seinem fliegenden Auto in Sicherheit bringt. Jedoch hat der freundliche Herr dabei nicht nur gutes im Sinne, sondern heuert uns vom Fleck weg als Assassinen an. Er fungiert als Mittelsmann, gemeinsam sollen wir uns nach oben arbeiten. Sinn mache diese Beschäftigung durchaus, da im futuristischen Tokio jeder die so genannten NanoMeds einnehme und die Menschen deshalb nicht mehr sterben. Ohne großes Zögern sagt unser Protagonist zu und wir gehen fortan dem mörderischen Geschäft nach.

Mord per Automat

Fortan besteht unsere Aufgabe also darin, bestimmte Personen oder gar ganze Gruppen möglichst effektiv um die Ecke zu bringen. Die Aufträge erhalten wir dabei zumeist aus Automaten, selten stellen die Auftraggeber, wie die Unterweltgröße Nu-Baba, direkten Kontakt her. Unsere Ziele reichen dabei von schwer beschützten Industrie-Magnaten über scheinbar religiösen Führeren bis hin zu ganzen Personengruppen. Auch wenn wir meistens frei in der Wahl unserer Vorgehensweise sind, so gibt es doch hin und wieder Auflagen unserer Auftraggeber. Beispielsweise gilt es, ein Ziel nur per Granate zu erledigen, während einem anderen Auftrag müssen wir uns unentdeckt an unser bedauernswertes Opfer heranschleichen und per Schwert hinrichten. 

Tokyo 42

Sollten wir uns für ruhiges, bedachtes Vorgehen entscheiden, so hilft das Sichtfeld der Feinde

Um unser Ziel zu erreichen stehen uns einige kleinere und größere Hilfsmittel zur Verfügung. Stets von Nutzen sind die Ferngläser, mit denen wir eine Situation aus der Ferne und sämtlichen Blickwinkeln in Ruhe ausloten können – dieses System erinnert nicht nur entfernt an Fez. Mit allen Blickwinkeln sind hier tatsächlich die acht verschiedenen Ansichten gemeint, aus denen wir das Geschehen betrachten können. Durch die isometrische Darstellungsweise gibt es bisweilen Problemchen bei der Übersicht, das ist kaum zu umgehen. Jedoch haben sich die Entwickler Gedanken gemacht und deshalb können wir per Knopfdruck jederzeit unseren Blickwinkel ändern, um eine bessere Übersicht zu erhalten und alternative Wege zu finden. 

Jedoch kann selbst das durchdachte System von Tokyo 42 nicht verhindern, dass stellenweise Frust und Verwirrung ob der gewählten Perspektive sowie der verschiedenen Blickwinkel aufkommt. So kann es bisweilen doch etwas überfordern, wenn wir uns in einem großen Gefecht befinden, mit Granaten um uns schmeißen, gegnerischen Projektilen ausweichen, selbst aus allen Rohren feuern und dabei noch ständig den Blickwinkel nachjustieren müssen, um alles im Blick zu behalten. Leider kommt es in solchen Situationen oftmals zum virtuellen Ableben, zumal dieses bereits nach einem kassierten Treffer eintritt. Dafür ist das Belohnungsgefühl, wenn ein Ziel nach dem gefühlten 1000. Versuch nun endlich das Zeitliche segnet, umso großer. 

Bullethell & Fingerakrobatik

Wie aber genau spielt sich Tokyo 42 nun? Nachdem wir einen Auftrag angenommen haben, können wir uns entweder zu Fuß zum Ort des Auftrags begeben, oder aber wir nutzen einen der zahlreichen Schnellreisepunkte. Einmal aktiviert, können wir uns jederzeit direkt aus der Map heraus zu ihnen teleportieren – erfreulicherweise ganz ohne Ladezeiten. Am Ort des Geschehens angekommen ist es zunächst ratsam, sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Welcher Gegner patrouilliert in welchem Muster, welche Lauf- und Fluchtwege gibt es, müssen wir unser Ziel auf eine bestimmte Weise erledigen?

Als nächster Schritt steht die Wahl unseres Vorgehens auf dem Programm. Heimlich und leise oder laut und schnell? Über das Waffenrad wählen wir aus unseren Schießeisen, neue Tötungswerkzeuge erhalten wir bei den in der Stadt verteilten Händlern gegen unser sauer verdientes Bares. Die Auswahl hier reicht von Katanas über Pistolen und Maschinengewehren bis hin zu Raketenwerfern. Zudem gibt es verschiedene Granaten-Typen, wie Haft- oder Splittergranaten. 

Sobald wir unsere Vorgehensweise gewählt haben können wir mit gezückten Waffen auf die Gegner zurennen und feuern, was die Waffen hergeben, oder uns geduckt anschleichen und nach und nach Feind um Feind ausschalten. Während erstere Taktik Tokyo 42 schnell in einen Bullethell-Shooter verwandelt, bei dem es nicht dem Erlegen der Feinde auch um das möglichst effektive Ausweichen derer Projektile geht, können wir auf dem zweiten Weg ganze Missionen erledigen, ohne jemals eine Kugel abzufeuern oder eine direkte Konfrontation zu erleben. Dies sind nur zwei Beispiele dafür, wie wir vorgehen können, auch das entfernte Ausschalten unseres Ziel per Scharfschützengewehr oder eine Arie aus Granaten sind Möglichkeiten, die gewählt werden können. Diese Vielfalt versorgt den Titel sowie die Missionen mit einem hohen Wiederspielwert, auch wenn bei der Rambo-Methode mit deutlich öfter einsetzendem Ableben zu rechnen ist und sich der Stealth-Weg insgesamt leichter spielt. 

Tokyo 42

Bei unsensiblem Vorgehen füllt sich der Bildschirm innerhalb von Sekunden mit Projektilen.

Abwechslung schafft Tokyo 42 jedoch nicht nur durch verschiedene Heransgehensweisen, sondern auch durch Missionstypen, in denen entweder das Abmurksen durch andere Elemente aufgepeppt wird oder aber gar nicht Teil der Aufgabe ist. So gibt es eine Auftraggeberin, für die wir in feinster Parcour-Manier durch die Stadt flitzen um Kurier-Aufträge zu absolvieren oder es gilt, einen gegnerischen Trupp von unserem Motorrad aus zu ermeucheln. Während ersteres lediglich durch kleinere Probleme bei der – durch den Blickwinkel bedingte – Wahrnehmung erschwert wird, das Gameplay aber angenehm auflockert, ist die Moped-Mission gelinde gesagt ein Ärgernis. Dies liegt zum großen Teil an der Steuerung des heißen Ofens, es gilt per rechten Trigger Gas zu geben, während mit dem linken Stick gelenkt und aus dem rechten gefeuert wird. Dazu gesellt sich natürlich noch das Nachjustieren der Kamera, weshalb besagte Mission vielleicht als nette Abwechslung gedacht war, aber für mehr Frust als Spaß sorgt. 

Ganz allgemein benötigt die Steuerung von Tokyo 42 eine gehörige Einarbeitungszeit, bis es sich halbwegs so anfühlt, als wäre man Herr der Lage. Während die Tastenbelegung durchaus logisch ist, gibt es viele kleine Kniffe, die erst in Fleisch und Blut übergehen müssen, um erfolgreich assassinieren zu können. So wird über den rechten Stick gezielt und den rechten Trigger gefeuert, jedoch nur auf Höhe der Ebene, auf der wir uns befinden. Wollen wir höher oder tiefer gelegene Feinde treffen gilt es, den rechten Stick einzudrücken, woraufhin wir auf verschiedene Ebenen zielen können. Das ist speziell in hektischen Gefechten schnell frustig und so ganz sicher fühlt man sich dann doch selten. Wenn sich dazu dann noch Granaten-Würfe gesellen ist das Chaos perfekt. Dafür ist das bereits erwähnte Belohnungsgefühl umso stärker.

Futuretechnik

Gut an das Setting angepasst ist die Technik von Tokyo 42. Die gesamte Spielwelt ist sehr sauber gehalten, es wirkt fast schon steril. Passend dazu erstehen die versehentlich erschossenen Passanten wohl aufgrund ihrer NanoMeds auch schnell wieder von den Toten auf, so dass bloß keine Leichen die sauberen Straßen verschmutzen. Beim grafischen Stil wurde nicht auf eine möglichst realistische Optik im Stil von Shadowrun gesetzt, sondern auf eine Voxel-Optik, wie sie beispielsweise auch bei Cube World oder 3D Dot Game Heroes zum Einsatz kommt. Diese mag nicht jedem gefallen, fügt sich aber perfekt in den sauberen Look des Titels ein und wurde mit viel Liebe zum Detail umgesetzt. Leider leidet das Geschehen jedoch hin und wieder unter kleinen Rucklern (Xbox One-Version).

Tokyo 42

Die Stadt kann sich durchaus sehen lassen, überall warten kleine und große Details, die für ordentlich Stimmung sorgen.

Im Tokio des Jahres 2042 wimmelt es nur so von versteckten Gängen, Münzen und anderen kleinen Geheimnissen, die wir entdecken können. Jedoch ist hier viel mit der Perspektive zu arbeiten, um herauszufinden, welcher Weg genau genommen werden kann, ohne unseren Protagonisten über den virtuellen Jordan zu schicken. Genau diese Spielerei mit der Wahrnehmung macht Tokyo 42 so interessant und auf eine gewisse Art einzigartig. Klar, die Story lässt sich in vier bis sechs Stunden durchjagen, dafür wird aber auch nur die Hälfte erlebt. Falls es danach immer noch nicht reicht wird zudem sogar noch ein kompetitiver Multiplayer-Modus geboten, bei dem wir unsere Kräfte mit anderen Spielern messen können. 

Der Soundtrack unterstützt mit smoothen Synthie-Lines das Spielgeschehen, ohne dabei jemals zu aufdringlich zu werden. Wer peitschende Musik erwartet, die uns wie bei Hotline Miami durch die Missionen scheucht, der wird hier eher enttäuscht. Dafür passt die Musik jedoch perfekt zum Setting und sorgt für rhythmisches Kopfnicken, während wir uns das 13. mal an einer Mission versuchen. 

Fazit

Tokyo 42 kommt mit einigen wunderbaren Ideen und bringt frischen Wind in das Genre der Isometrie-Shooter. Durch die Perspektivenwechsel ergeben sich interessant Möglichkeiten und das futuristische Tokio lädt zum Erkunden ein. Das sackschwere Gameplay lässt einen nicht nur einmal bis an die Grenzen und darüber hinaus gehen, belohnt aber durch ein immenses Glücksgefühl, sobald der Auftrag dann doch endlich ausgeführt werden konnte und das Ziel seinen letzten Atemzug tut.

Leider kommen durch die gewählte Perspektive in Kombination mit der Möglichkeit, die Ansicht zu drehen schnell Probleme bei der Übersicht auf, ebenso wie einige unfreiwillige Todessprünge. Diese werden bei zunehmender Erfahrung zwar weniger, sind aber immer noch ärgerlich. Jedoch ist hier anzumerken, dass diese Umstände bei dem gewählten Spielprinzip fast unumgänglich sind und durch die Entwickler so gut wie möglich eingedämmt wurden. Ähnliches gilt für die Steuerung, die sehr viel Einarbeitungszeit benötigt und auch für erfahrene Spieler sehr fummelig sein dürfte. 

Final bleibt zu sagen, dass Smac Games einen interessanten Indie-Titel gezaubert hat, der durch viele sympathische und originelle Ideen aufwartet, die zwar nicht alle zünden oder zu 100 Prozent funktionieren, aber ein spaßiges Gesamtpaket schnüren. Freunde von schweren Titeln der Marke Hotline Miami oder Titan Souls sollten sich Tokyo 42 auf jeden Fall etwas genauer ansehen. 

Disclaimer: Die verwendeten Screenshots stammen vom Entwickler, repräsentieren aber, was auf der Xbox One zu sehen war.