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Was macht Pokémon Go mit den Menschen?

Jetzt ist es doch soweit, ich schreibe über Pokémon Go. Die App, die seit (inoffiziellem) Release gefühlt jede einzelne Seite des Internets beherrscht. Die App, wegen der Menschen, die laut ihren eigenen Aussagen „soziale Aussteiger“ sind und „nie vor die Tür gegangen sind“ auf einmal auf ihre gesunde Kellerbräune pfeifen und sich tatsächlich hinaus in die große weite Welt bewegen. Eins ist klar, Pokémon Go ist aktuell der heiße Scheiss auf den Smartphones der gesamten Welt. Ich selbst habe es installiert und spiele mehr oder weniger aktiv, beim Gassi gehen ist die App eigentlich immer offen. Jedoch komme ich natürlich auch nicht umher zu sehen, was sie mit unserer Gesellschaft macht, welchen Ruck der immense Erfolg mitgebracht hat, der Nintendo plötzlich wieder ins Visier der Spieler brachte. Was macht Pokémon Go mit den Menschen, welchen Impact hatte das kleine Programm auf Firmen und wie hat es die zukünftige digitale Landschaft verändert? Fragen über Fragen, die ich nachfolgend versuchen werde nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Was macht Pokémon Go mit den Spielern?

Was macht Pokémon Go mit den Spielern?

Fangen wir mit dem offensichtlichsten Punkt an, ohne den ich diese Zeilen nicht tippen würde, da die App schlicht uninteressant wäre: die Spieler. Laut CNBC gibt es alleine in den USA zu Topzeiten 21 Millionen Spieler, weltweit dürften die Zahlen um ein Vielfaches höher sein. Egal wann und wo man unterwegs ist, überall und zu nahezu jeder Zeit sind in Smartphones vertiefte Leute zu sehen und prinzipiell ist jeder verdächtig, auf der virtuellen Jagd nach den kleinen Monstern zu sein. Es werden Gruppen gebildet, Events organisiert und sich zu jeder Tages- und Nachtzeit getroffen, um doch noch schnell ein paar Meter auf die Counter der Eier zu laufen, um diese auszubrüten.

Die positiven Seiten dieser Entwicklung liegen auf der Hand: die Menschen sozialisieren und bewegen sich freiwillig an der frischen Luft. Speziell Kardiologen bestätigen, die viele Bewegung mache sich im Gesundheitsspiegel bemerkbar, einige Spieler scheinen sich sogar durch die Bewegung, die sie durch Pokémon Go erfahren, für weitere Sportarten begeistern zu können. Auch die psychische Gesundheit werde gefördert. Durch die Beschäftigung mit dem Spiel sei es für schüchterne, eher introvertierte Menschen deutlich einfacher, in Kontakt mit Anderen zu treten, um sich über die aktuelle Lieblingsbeschäftigung auszutauschen.

Pokémon Go

Ein wahres Phänomen: Ganze Parks voller auf ihre Smartphone fixierter Menschen. (Bild: Sigfrid Lundberg)

Auch mentale Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen lassen sich durch Pokémon Go in den Griff kriegen. Dabei spielen sowohl körperliche Ertüchtigung als auch der Kontakt mit anderen Menschen eine entscheidende Rolle. Beide Faktoren zusammen genommen stellen einen essentiellen Bestandteil des menschlichen Daseins dar und in Kombination mit den Kindheitserinnerungen, die viele Spieler mit den kleinen Monstern verbinden, sei Pokémon Go durchaus in der Lage, Menschen mit beispielsweise sozialen Phobien immens zu helfen. Speziell der Punkt Augmented Reality ist hier ein Knackpunkt, sofern die Kamera aktiviert ist steht Taubsi nicht im unbekannten Raum – wir fangen den kleinen Vogel in unserem Zimmer oder in unserer Nachbarschaft. So gibt es eine sanfte Zusammenführung von Realität und Fiktion.

Das klingt jetzt zugegeben alles zu schön um wahr zu sein, allerdings ist nicht alles Gold was glänzt. So positiv der Aspekt des gemeinsamen Hinausgehens und Spielens auch ist, so schnell kann der Schuss nach hinten losgehen. Denn trotz dass wir raus gehen, andere Trainer treffen und uns gemeinsam auf die Jagd begeben oder Arenen einnehmen, am Ende bleibt es ein Spiel. Ein Spiel, das unbedingt danach verlangt einen Großteil unserer Aufmerksamkeit auf unser Smartphone zu richten. Klar, das ist in der heutigen Zeit jetzt auch kein seltenes Phänomen, allerdings treibt Pokémon Go diesen Trend noch etwas weiter als bekannt. Pokéstops müssen unbedingt gefunden werden, um stets genug Ausrüstung zu haben und das nächste Monster in der Nähe sehen wir auch nur, indem wir das Display stets im Auge behalten. Somit entsteht schnell die Problematik, dass wir uns zwar inmitten einer großen Gruppe befinden, letztendlich aber doch »alleine« sind.

Das nächste große Problem stellt gar eine direkte Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Spielerschaft dar. Durch den Fokus auf das eigene Smartphone wird gerne einmal vergessen, dass es im Real Life so lästige Sachen wie Straßen, Autos, Fahrradfahrer oder andere Menschen gibt. Seien sie nun wahr oder nicht, Geschichten von Spielern, die in den USA von Klippen laufen weil sie so in ihr Telefon vertieft waren klingen zwar witzig und irgendwie surreal, alarmieren aber auch. Vor lauter Jagdfieber darf nicht vergessen werden, dass wir uns in der echten Welt befinden, in der nunmal auch Gefahren abseits des feindlichen Teams lauern.

Was macht Pokémon Go mit den Outlets?

Neben den Spielern selbst gibt es eine weitere Personengruppe, die nicht umher kommt, sich mit der App zu befassen: Videospiel-Journalisten, -Blogger, -Streamer und alle weiteren Content Creator, die sich auch nur ansatzweise im digitalen Umfeld bewegen. Pokémon Go ist omnipräsent, um im Internet aktuell noch mithalten zu können gilt es, Inhalte zu bringen, die sich in welcher Weise auch immer damit befassen. Hier startet bereits die Problematik.

Jedes Outlet, jedes Magazin, jede Website berichtete mehr oder weniger unablässig über Pokémon Go. Jedoch nicht immer in sinnvollen Wegen, oftmals wurden noch so kleine Ideen zum Anlass genommen, einen weiteren Beitrag zu veröffentlichen, nur der Klicks wegen. Während ich die üblichen Clickbait-Zentralen ohnehin nur höchst gerne aufsuche, tun sich nun auch immer mehr Kandidaten auf, von denen ich bisher dachte dass ihnen seriöser Videospiel-Journalismus doch wichtiger sei als billigste Mittel um Leute auf ihre Seite zu locken und in Folge dessen mit Pokémon Go zugeschmierte „News“-Sektionen, die so brennende Themen wie „Apple-Chef glaubt, Pokémon heißt Pokéman“, „Diese Warnhinweise braucht Pokémon GO wirklich“, „Pokémon GO: Japanische Fans glauben, ihre Haustiere könnten Pokémon sehen“ oder gar philosophische Fragen im Stil von „Pokémon Go: Hat das Spiel seinen Zenit überschritten?“ behandeln. Die Problematik liegt hier in der Frequenz der Veröffentlichungen solcher Beiträge. Stellenweise kommen die im Stundentakt, was bei einen regulären Arbeitstag acht Beiträge zu Pokémon Go macht. Für reguläre News oder gar sinnvolle Features blieben da freilich nicht mehr viele Ressourcen übrig. Und das merkte man.

Verständnis meinerseits ist natürlich bis zu einem gewissen Grad auch vorhanden, speziell direkt zum Release von Pokémon Go konnte es schon fast schwer werden über etwas anderes zu schreiben. Ja mir ist bewusst, dass es sich einer gewissen Ironie nicht entbehrt, dass ich mich in einem Artikel über Pokémon Go darüber brüste, nicht über Pokémon Go zu schreiben. Aber ihr versteht den Punkt. Clickbait ist ohnehin schon eine hässliche Erscheinung in der aktuellen Medienlandschaft, die durch die App exponentiell verstärkt wurde. Ich persönlich meide mittlerweile Seiten, auf denen direkt auf der Landing Page mehr als zwei „News“ zu dem Titel zu finden sind. Ganz einfach weil ich mich informieren und nicht wissen will, wo angeblich ein Mewtu lauert. So geht es nicht nur mir, in meiner Filterbubble geht das Thema den Leuten verstärkt auf den Geist, auch wenn viele selbst aktiv spielen.

Auch vor Video-Content wird nicht Halt gemacht, es gibt Videos mit Tipps, Leute filmen sich bei ihren Touren, schaffen es dabei aber nicht die Displays abzufangen, weshalb außer dem Gerede der Video-Produzenten nicht viel übrig bleibt oder es wird sich bequem ein virtuelles Android-System mit GPS-Faker eingerichtet und sich in den Central Park verfrachtet. Speziell die letzte Methode ist auf der Streaming-Plattform Twitch extrem beliebt, die Zuschauerzahlen sprechen für sich. Ich verstehe den Appeal allerdings nicht so ganz warum man jemand zuschaut, der eine App bequem im Büro-Stuhl vor sich hin zockt, die eigentlich dazu anregen soll sich zu bewegen und eben diese ach so bequeme Sitzgelegenheit zu verlassen. Und ich schwöre, wenn auf meiner YouTube-Frontpage noch ein crazy ausgeflippter Vlogger auftaucht, der sich „ach so lustige“ Pokémon-Klamotten für die Jagd besorgt hat wechsle ich auf Dailymotion.

Jedoch ist natürlich nicht automatisch jeder Pokémon Go-Content Mist. Es gibt durchaus unterhaltsame Aktionen, Beiträge und Ideen, diese gehen jedoch oftmals leider einfach in dem Müllsumpf unter. Mehr dazu im kommenden Abschnitt.

Was macht Pokémon Go mit dem Marketing?

Kommen wir nun zum letzten Punkt: wie handhaben die Firmen und die Marketing-Abteilungen Pokémon Go? Hiermit meine ich, welche Webemaßnahmen wurden mit Hilfe der App gestartet, wer hat vielleicht nicht zu 100% mit seinem Vorhaben getroffen und welchen Aktionen waren offen und ehrlich gesagt einfach peinlich. Hierbei bitte ich zu beachten, es handelt sich rein um meine Meinung. Diese muss mit niemandem überein stimmen. 

Eine besonders beliebte Methode bietet sich einem jedem Ladenbesitzer, in dessen Nähe sich ein Pokéstop befindet. Hier wird vom Geschäftsinhaber selbst ein Lockmodul platziert, jede Stunde gibt es einen neuen Köder. Somit werden – theoretisch – neue Kunden in die Nähe der Lokalität gelockt und der Laden ist prall gefüllt beziehungsweise belagert. Jedoch vergessen viele Geschäftsmänner folgendes: viele Menschen sind nicht gleich viel Umsatz. Glücksfälle wie die Pizzeria in Queens, deren Umsatz um 30 Prozent nach oben schnellte, sind nicht vorprogrammiert. Wenn es ganz blöd läuft können die vielen Smartphones vor dem Geschäft sogar eher abschreckend auf potentielle Neukunden wirken. 

Richtig interessant wird Pokémon Go für Ladenbesitzer vermutlich ab dem Punkt, ab dem Niantic die Möglichkeit für Geschäfte freischaltet, Pokéstops zu kaufen. So soll es möglich sein, in der eigenen Lokalität einen Treffpunkt zu schaffen, der jedoch nur zahlenden Kunden zur Verfügung steht. Wie die Spielerschaft auf diese Möglichkeit reagieren wird bleibt allerdings abzuwarten. Deutlich einfacher könnte es werden, wenn Geschäften gestattet wird, Tränke, Bälle oder andere Ingame-Items an die Horden zu verkaufen. So wird Umsatz generiert und die Spieler haben einen Grund, sich im Laden aufzuhalten. 

Unterm Strich sind oben beschriebene Geschichten jedoch eher uninspiriert und schaffen kaum Bindung zwischen dem eigenen Business und dem Spieler. Hier wären tatsächliche Rabatte für die Gamer oder vielleicht sogar Tauschbörsen (sobald das Feature implementiert wird) mit offizieller Unterstützung seitens des Geschäfts doch deutlich spannender. Wobei bei diesen Punkten sicherlich viel Rechtliches mit Nintendo und Niantic zu klären wäre. Denn Pokémon ist und bleibt ein geschützter Markenname, der nicht einem jeden zur freien Verfügung bereit steht und schon gar nicht um damit Werbung zu machen. 

Kommen wir nun zum humoristischen Abschluss und zu einigen mehr und anderen weniger gelungenen Aktionen diverser PR-Abteilungen. So bewirbt beispielsweise der schwedische Möbelgigant IKEA seine neue Handpuppe Läskig per gewohnter Smartphone-Ansicht, der Plüsch-Drache ist mit 445 CP in der Mitte des Bildschirms zu sehen. Eine nette Idee, die dazu simpel aber passend umgesetzt wurde. 

Während obig gezeigtes Beispiel durchaus glaubwürdig erscheint und die Quintessenz dessen einfängt, was Pokémon Go ausmacht, hat die Deutsche Bahn einen deutlich plumperen Weg gewählt. Ein rotes Schild, auf dem der Sparpreis beworben wird und im Vordergrund ist ein Pokéball zu sehen. Leider ist die Grafik nicht schön umgesetzt, zudem wirkt der Spruch „Ein wildes Sparpreis erscheint“ auch nicht wirklich kreativ.

Auch der SPD-Landtagsarbgeordnete Dr. Andreas Schmidt (Beziehungsweise sein Team) hätten sich den Facebook-Post lieber zweimal überlegen sollen. Neben das Wahlkampfbild des Politikers wurde per Bildbearbeiterung ein (Cartoon-)Glurak eingebaut, begleitet von den folgenden Worten: 

Ich freue mich riesig – ich habe heute ein Glurak vor der SPD-Regional-Geschäftsstelle gefunden!

Wenigstens passen Grafik und genannter Name überein, jedoch wirkt die ganze Aktion mehr wie ein Versuch, dem aktuellen Trend zu folgen und so in Kontakt mit der Jugend zu treten, als tatsächliche Leidenschaft für die App oder das Thema dahinter.

Zum Abschluss präsentiere ich noch eine gelungene Grafik des „Weil wir dich lieben“-Accounts der Berliner Verkehrsbetriebe, kurz BVG. Das Nahverkehrsunternehmen hatte schon so einige gelungene Social-Media-Kampagnen und auch mit ihrem Beitrag zur Pokémon Go-Welle bewiesen sie Treffsicherheit. Hier zu sehen ist das inoffizielle Serienmaskottchen Pikachu, das anscheinend ohne Fahrschein Fahrgast in einem Bus des Unternehmens spielt. Jedoch scheint es sich hier um einen illegalen Mitfahrer zu handeln, der Text »Neue Schwarzfahrerwelle schockiert Berlin« prangt über dem Tierchen.

Abschluss

Abschließend könnte zwar viel gesagt werden, ich versuche es aber trotzdem mit einem kurzen, fast schon philosophischen Ansatz. Pokémon Go ist auch nicht mehr als eine App, ein Spiel. Es sollte nicht zu ernst genommen werden, egal welcher Hype darum generiert wurde. Viele Spieler sind mittlerweile wieder abgesprungen, viele geblieben.

Das hat verschiedene Gründe, mein Appell an euch ist allerdings simpel: lasst spielen, wer spielen will und anders herum.

Facebook-Aktionen wie „Pokémon-Spieler jagen“ zeugen weder von gutem Humor noch von Respekt für den anderen, sind aber (bisher) glücklicherweise auch noch nicht veranstaltet worden. Hoffen wir dass es so bleibt und dass die Spielerschaft sich weiterhin respektiert und neue Mitglieder freudig begrüßt – unabhängig davon, wie „casual“ auch immer sie sein mögen.

Denn so haben viele von uns ihren Einstieg in das beste Hobby der Welt gefunden.