#2 Im DeLorean: Unfassbare Unfasslichkeit

Über die Simulation dynamischer Systeme mittels hochgradig funktionsintegrierter Bauteile

Hossa! Wenn du es bis hierher geschafft hast, verspreche ich hast du das schlimmste hinter dir. Nein besser sogar, du hast noch unglaubliches vor dir! Man könnte sagen, es wird „incredible“!

Heute werde ich dir ein Stück meiner Kindheit näher bringen, das mich geprägt hat. Tief verankert in meiner Psyche brach es vor einigen Wochen impulsartig über meinen Körper herein und hinterließ mich staunend. Ich danke hiermit dem Internet für den Namen dieses Spiels. Internet, du bist toll. Aber schauen wir uns erst an was die Leute dazu sagen.

„MY CHILDHOOD! I FOUND IT! “ – Murrison

„I’ve been hunting for this game for YEARS! Thank you so much for putting this up, and bringing so many childhood memories back! “ – Leprechaunproduction

„Das beste Spiel, das je produziert wurde.“ – Leonardo da Vinci

Zugegeben, die Quelle des letzten Zitates ist etwas diffus. Dass das Internet aber in den meisten Fällen richtig liegt, wusste schon Benjamin Franklin. Auch heute soll der alte Benjamin recht behalten, denn das Spiel von dem ich berichte hört auf den Namen „The incredible Machine“. Der zunächst bescheiden und unscheinbar anmutende Titel ist jedoch nur ein Deckmantel wahren Genies. Entwickelt von Dynamix unter Publisher Sierra Entertainment im Jahr 1992 für Microsoft DOS ist das Spiel ein Mix aus Rätsel und Bastelsimulation der allerbesten Art.

Hätte man MC Gyver zwei Kaugummies, einen Schnürsenkel und alte Leiterplatinen gegeben ich schwöre er stände heute höchst selbst in den Credits. Leider war der zu sehr damit beschäftigt Jungfrauen in Nöten zu befreien und seine modische Föhnfrisur zu richten. Nicht schlimm, die Jungs von Dynamix haben das ganze auch ohne seine Hilfe hinbekommen. Aber was denn nun eigentlich?

Menübildschirm

Alles wichtige auf einen Blick in wunderschönem 90er Jahre chiq.

Basteln, Kleben, Affen quälen

Die Ausgangssituation des Spiel ist schnell erklärt: Es gibt weder eine Handlung, noch spektakuläre Grafik. Ihr seid im Grunde genommen ein geisteskranker Wissenschaftler, dessen einzige Lebensfreude darin besteht mit Bowlingkugeln auf Mäusekäfige zu werfen und Affen auf Standrädern hinter Bananen herjagen zu lassen. Ihr wärt aber nicht der geniale Verstand, der ihr nunmal seid, wenn die nicht wenigstens Strom dabei produzieren würden, um so eure abenteuerlichen Maschinen zu betreiben. Was zunächst wie das Drehbuch zu einem neuen Marvelfilm klingt, stellt sich schlussendlich dann aber doch als innovativ heraus. Denn für die Zeit überrascht das Spiel mit etwas, das man fast als Physik-Engine bezeichnen könnte.

Zugegeben, dieser Fakt allein ist höchstens in naturwissenschaftlich begeisterten Kreisen ein Schlüpferöffner, verpackt wird diese allerdings in einem insgesamt überaus sympathischen Puzzleambinente. Beginnend bei eins bekommt ihr vor jedem neuen Level in einem kurzen Bild erklärt, welche Aufgabe die von euch zu entwerfende Maschine erfüllen soll. Im Anschluss liegt es dann ganz an euch, wie ihr diese Aufgabe meistert.

Dabei habt ihr in der Regel nur begrenzt Utensilien zur Verfügung, den einen richtigen Weg gibt es aber spätestens mit fortgeschrittenem Spielverlauf so gut wie nie. Gerade das feuert die Kreativität und den Ideenreichtum beim Lösen der Aufgaben an und hat mich direkt auch das ein oder andere Level mehrmals spielen lassen. Es entwickelt sich schnell der Eifer das ganze Konstrukt noch abstruser und komplexer zu bauen als zuvor, nur um im Anschluss mit tiefer Zufriedenheit im Herzen auf sein erschaffenes Monstrum zu schauen.

 

Final Machination – Frankensteins Monster lebt

Die Faszination dieses Spiels lässt sich an dem folgenden Beispiel am besten erklären:

Die Bowlingkugel oben links fällt auf die Wippe. Diese aktiviert mittels Seilzug über eine Rolle die Glühbirne auf der rechten Seite. Das Licht bündelt sich in der Lupe, entzündet die Kanone, die im Anschluss gegen den Balken links schießt. Dort prallt die Kugel wiederum ab, fällt in den Eimer, der sich daraufhin absenkt und die Maus in ihrem Laufrad weckt. Die beginnt wie verrückt zu strampeln und treibt das Förderband links von ihr an, auf das der sinkende Eimer gleitet. Dieser wird schließlich auf die Wippe transportiert und aktiviert damit über einen weiteren Seilzug die Pistole, die die Bowlingkugel im unteren rechten Rand trifft – das Ziel unserer Mission.

Was zunächst wie eine zufällige Verkettung nach Dominoeffekt aussieht, ist das Ergebnis stundenlanger Berechnungen. Einzig der Affe fand in meiner Grenzwertbetrachtung trotz erheblichen Aufwandes noch immer keinen Platz. Sollte es jemandem gelingen ihn unterzubekommen (Puzzel 26) würde er mir einige schlaflose Nächte ersparen. Ernsthaft, das muss doch irgendwie gehen. Verfluchte Technik.

level 26

Ein Kunstwerk. Ich habe nichts hinzuzufügen.

Nostalgia – It’s over 9000

Okay, okay, okay. Du schaust dir die Bilder an, kannst aber selber gar nicht so viel damit anfangen. Unter Umständen hast du nie einen Amiga besessen, warst zu jung oder schlichtweg nicht flüssig genug, um dir einen zu leisten. Vielleicht belächelst du sogar das Ganze ein bisschen.

Wie so viele Dinge ist etwas für den einen wertlos, für den anderen aber kaum zu bezahlen. Für mich ist dieses Spiel Kindheit. Es kann gut 18 bis 20 Jahre her sein, dass ich zu Hause auf meinem Stuhl saß, meinem Bruder über die Schulter geguckt habe wie er „The incredible Machine“ gespielt hat und so verblüfft war, dass sich diese Szene bis heute in meine Hirnhaut gebrannt hat. Ich erinnere mich kaum daran, was ich gestern getan habe, aber diese Erinnerung ist präsent. Kein Urlaub, kein Rumtollen im Garten mit Freunden, sondern ein Videospiel. Dieses Spiel. Daraus lässt sich einiges ableiten: Zum einen war ich scheinbar damals schon die blasshäutige Kellerassel von heute, die sich von nichts so faszinieren ließ wie von Videospielen. Zum anderen, dass „The Incredible Machine“ wirklich Spaß machte. In einer Zeit, in der die Spiele oftmals sehr geradlinig verliefen, bot dieser Titel einiges an Freiheit. Besonders der „Free Form Mode“ ist ein ziemlich gutes Beispiel dafür. Diejenigen unter euch mit einer Inselbegabung in Englisch ahnen es vielleicht schon: Es stehen alle Utensilien zur Verfügung, du kannst bauen was du möchtest. Einzig deine Fantasie und unter Umständen der Platz limitieren die kranke Idee, die deinem Hirn entspringt und sich auf dem Bildschirm manifestiert. Mein persönliches Eureka.

levelauswahl

Über das Menü könnt ihr beliebige Puzzel zu jedem Zeitpunkt auswählen. Das Passwort war früher ein Savegame-Ersatz wenn ich mich richtig erinnere – in meiner Version waren allerdings alle Puzzle frei verfügbar.

Dont‘ believe the hype.

Für alles schöne dieser Welt gibt es heutzutage natürlich auch immer unmittelbar eine Antipathie. Wenn der neueste Tatort mit Till Schweiger läuft gibt es eine Front von Leuten, die behauptet das sei das SCHLIMMSTE was Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg passiert ist, andere wiederum sehen vergnüglich über das Fehlen jeder Logik in einem Plot hinweg. Dann gibt es Leute, die lesen diese Kolumne und denken sich: „Wow, das Spiel muss ich mir unbedingt angucken“ oder „Ja, genau so ist es!“ und auf der anderen Seite solche, die schon früher in der Schule immer zurecht um ihr Pausengeld erleichtert wurden.

„The incredible Machine“ ist sicher nicht für jeden etwas, auch wenn ich dich an diesem Punkt hoffentlich trotzdem ein bisschen anfixen konnte. Das Spiel ist aber in seiner gesamten Aufmachung erschreckend modern und könnte bis auf einige kleine Änderungen in den Top Charts jedes modernen App Stores stehen.Genau diese Art kurzweiliger Dauerbrenner ist heute zwar viel kritisiert, aber populär wie nie und bietet genau hier einen Blick durch die Vergangenheit auf die Gegenwart. In diesem Punkt teilten die Herrschaften von Disney eine zeitlang wohl meine Meinung und veröffentlichten 2011 eine iOs Adaption desselbigen. Nach einem Award für das beste iPod/iPad Spiel auf der E3 wanderte „The incredible Machine“ schließlich ohne Begründung in den supportlosen Ruhestand. Ob Patente seitens Dynamix daran Schuld waren, werden wir wohl nie erfahren. So bleibt mir am Ende nur der Hut zu ziehen vor einem Spiel, dass es über 20 Jahre schaffte Menschen zu begeistern und heute noch kein bisschen von seinem alten Charme verloren hat. Chapeau!

Anleitung

Du hast es bis hierher geschafft und hast noch immer Bock auf mehr. Das macht eine lachende Sonne in deinem Schreibheft und einen Platz in meinen Abendgebeten. Für den schnellen Spielspaß und einen kleinen Einblick gibt es „The incredible Machine“ als flashgame kostenlos online zu spielen unter

http://www.classicdosgames.com/online/timdemo.html

Da das ganze aber in meinen Augen ziemlich verbugged ist und ich ab Level 7 (oder so ähnlich) wider besseren Wissens nicht mehr weiterkam, empfehle ich folgende Variante:

1) Download der DOSBox bei Chip (Emulation für alte DOS Anwendungen)

http://www.chip.de/downloads/DOSBox_13015039.html

2) Download von „The incredible Machine“

http://www.myabandonware.com/game/the-incredible-machine-1mg

3) Installieren der DOSBox und befolgen der Anweisungen. Einfach Zip-Archiv laden und los gehts.

Falls du danach noch immer nicht genug haben solltest, bleiben noch, „The Even More Incredible Machine“, „The Incredible Machine 2“, „The Incredible Machine 3“, „Return of The Incredible Machine: Contraptions“ und „The Incredible Machine: Even More Contraptions“.

Danach empfehle ich allerdings eine Therapie.

Alex